Der Zeichner mit dem Blick fürs Detail
Bestimmt haben Sie auch schon mal vor einer der vielen Schautafeln an der Küste gestanden, mit den akkuraten Zeichnungen der Vögel, die man hier beobachten kann. Jeder Strich im Gefieder ist genau zu erkennen, die Haltung von Kopf und Körper ist so naturgetreu, als wäre sie fotografiert. Diese Zeichnungen sind kleine Kunstwerke und stammen fast alle aus der Feder eines Mannes, der ebenfalls hier an der Küste zuhause ist. Ein Besuch bei Steffen Walentowitz, dem Nationalparkzeichner.

Das Haus von Walentowitz ist natürlich ein richtiges Haus; vier Wände und ein Dach trennen das Drinnen vom Draußen. Aber ist man einmal drin, verschwimmen die Grenzen ein wenig. Irgendwie ist man auch ein bisschen draußen. Das Haus steht am Rande von Jever und ist komplett aus Holz; selbst tragende Pfeiler sind gerade mal grob entrindete Baumstämme. Große Fensterflächen lenken den Blick in den Garten: Bäume, Sträucher, alles ein wenig wild – im Frühjahr pures Grün. Ein Paradies für Vögel; und ganz bestimmt auch für Walentowitz selbst, der hier mit seiner Familie lebt.
Der Friese ist ein großer Mann mit klarem Blick und weißen Haaren. Seinem Gesicht sieht man an, dass es Wetter gewohnt ist. „Ich bin ein Draußen-Mensch“, sagt er bei einem Besuch in seinem Holzhaus. Dieses ständige Draußen-Sein gehört zu seinem Beruf. Steffen Walentowitz ist Tierzeichner, oder genauer gesagt: er malt realistische Zeichnungen für Naturbücher. Er lebt davon, dass er sich in der Natur bewegt, sie beobachtet und zu Papier bringt. Tiere vor allem, und fast immer Vögel. Warum? „Die enorme Vielfalt ist faszinierend“, sagt er. Der Zeichner geht dazu an den Strand, auf die Wiesen, in die Wälder, frühmorgens, am Abend, je nachdem eben.
Oder er sitzt in seinem Arbeitszimmer und guckt in den Garten. Macht dann eine Blaumeise kurz Pause vor seinem bodentiefen Fenster, greift Walentowitz schon mal zu Stift und Papier und macht eine schnelle Skizze. Damit arbeitet er dann weiter. „Das Beobachten ist das A und O“, sagt er. Was er selbst nicht gesehen hat, malt er nicht. Aus der Fantasie etwas ergänzen? Nein, winkt er ab, dabei könnten Fehler passieren. Während des Besuchs zieht der Zeichner dann auch ein Buch aus dem Regal, eine schwere, gebundene Ausgabe. Darin gibt es ein schönes Bild eines amerikanischen Bisons aus seiner Feder. Auch dieses Tier hatte er bei einem Kanada-Besuch selbst beobachtet.
Steffen Walentowitz hat einen Namen in der überschaubaren Branche der Tierzeichner. Mitte der 1980er machte er sich als Zeichner selbstständig; da war er noch keine 25 Jahre alt. Und trotzdem schon ein erfahrener Tierbeobachter und –zeichner. Mit 14, sagt er, habe er angefangen, die Vögel an der Küste zu beobachten und zu malen. Mittlerweile schmücken seine akkuraten Tierzeichnungen gut 250 Publikationen verschiedener Verlage.
Walentowitz ist aber auch so etwas wie der Nationalparkzeichner. Die Tiere, die die Schautafeln und Nationalparkhäuser entlang des Wattenmeers von Niedersachsen bis Schleswig-Holstein bevölkern, stammen praktisch alle aus seiner Feder. Mehr als 100 Vogelarten kommen an der Küste vor, zählt er auf. Eben nicht nur die typischen Möwen, sondern auch zahlreiche Watvögel, Sing- und Greifvögel. Er hat sie fast alle schon beobachtet. Wer so genau hinguckt, erkennt auch Veränderungen. Einige Arten würden immer weniger, sagt der Zeichner. Rebhühner zum Beispiel, oder Braunkehlchen. Andere Arten wiederum kämen langsam wieder zurück in die Küstenregion: Seeadler, Wanderfalken, Uhus, auch Kolkraben seien hier wieder heimisch. Der Klimawandel, sagt er, spiele da auch eine Rolle. Und sowieso: „Natur ist nie statisch“, sagt Walentowitz.